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Prof.in Dr.in Dagmar Schwerk ist immer wieder fasziniert davon, wie divers und interdisziplinär die Tibetologie ist. Sie erforscht unter anderem, wie die Welt im Kampf gegen die Klimakrise von buddhistischen Kulturen, beispielsweise vom kleinen Land Bhutan, lernen könnte. Seit dem 1. Oktober 2024 ist Schwerk Professorin für Tibetologie (mit Tenure Track) am Institut für Indologie und Zentralasienwissenschaften an der Universität Leipzig.

Was haben Sie studiert – und wo?

Ich habe Tibetologie im Hauptfach und klassische Indologie und Politikwissenschaft in den Nebenfächern in der Magistra an der Universität Hamburg studiert. Ebenfalls an der Universität Hamburg wurde ich im Fach der Tibetologie promoviert.

Was waren im Anschluss Ihre wichtigsten beziehungsweise Ihre letzten beruflichen Stationen?

Nach der Promotion kam ich als Senior Research Fellow der internationalen und interdisziplinären Kollegforschergruppe „Multiple Secularities – Beyond the West, Beyond Modernities“ zum ersten Mal für sechs Monate an die Universität Leipzig (2017). Im Anschluss habe ich dann vier Jahre in Kanada an der University of British Columbia (Vancouver) geforscht und gelehrt und kehrte 2022 mit einer Horizon Europe Marie Skłodowska-Curie Postdoctoral Fellowship nach Deutschland und an die Universität Leipzig zurück.

Was fasziniert Sie an Ihrem Forschungsgebiet?

An der Tibetologie fasziniert mich insbesondere die Vielfalt der oft noch komplett unerforschten Quellen und Themen und die Interdisziplinarität in unseren Theorien und Methoden. Für uns Vertreter:innen von den sogenannten „kleinen Fächern“ ist es üblich, dass wir hoch spezialisiert sind, aber auch, anders als in größeren Fächern, zugleich gefordert sind, das komplette Fach in Forschung, Lehre und Wissenstransfer vertreten zu können. Anders ausgedrückt, wir Tibetolog:innen decken einen ziemlich großen kulturellen, linguistischen und geografischen Raum vom 7. Jahrhundert bis heute ab, der von China bis nach Zentralasien und Russland und bis über den Himalaja nach Südasien reicht. 

Um das leisten zu können, ist die Tibetologie in ihrem Kern bis heute oft interdisziplinär. Im Unterschied zu den anglo-amerikanischen Area Studies besitzt das Fach der Tibetologie durch seine Sprach- und Primärquellenexpertise ein Alleinstellungsmerkmal, das heißt je nach Forschungsthema arbeiten wir mit historisch-philologischen, aber auch linguistischen, kulturwissenschaftlichen, literaturwissenschaftlichen, ethnogafischen, oder sozialwissenschaftlichen Methoden. 

Was sind Ihre Schwerpunkte?

Meine Forschungsschwerpunkte umfassen die buddhistische Religionsgeschichte Bhutans und Tibets, insbesondere die Erforschung einer der wichtigsten Kontroversen in der tibetisch-buddhistischen Geistesgeschichte (Mahāmudrā), die bis heute Einfluss auf die Praxis des tibetischen Buddhismus im globalen Kontext hat.

Des Weiteren beschäftige ich mich mit dem Verhältnis von Religion, Politik und Säkularität in Bhutan und der regionalen und globalen Verflechtungsgeschichte Bhutans. Ein besonderes Anliegen ist es mir hierbei, alternative „Modernitäten“, die auf nicht westlichen und indigenen Wissens- und Resilienzsystemen aufbauen, in ihrem heutigen Potenzial für die Krisenbewältigung und im globalen Vergleich zu erschließen. Dabei spielen in meiner Forschung auch die Auswirkungen der Kolonialgeschichte, speziell die Marginalisierung von diesen nicht westlichen und indigenen Wissens- und Resilienzsystemen eine wichtige Rolle. Eine solche Marginalisierung sehen wir klar im heutigen globalen akademischen und öffentlichen Diskurs über die Klimakrise.

Haben Sie sich für Ihre Tätigkeit an der Universität Leipzig ein bestimmtes Forschungsziel gesetzt? Welches?

Zurzeit arbeite ich an einer umfangreichen Monografie zur Identitäts- und Nationalstaatenbildung Bhutans ab dem 18. Jahrhundert. Im Fokus meiner Forschung liegt die komplexe regionale und globale Verflechtungsgeschichte mit Tibet und dem British Empire und die Rolle bhutanischer buddhistischer Gelehrter als wichtige Diplomaten in diesen Prozessen. Meine Forschung ermöglicht so zum ersten Mal ein umfassendes historisch fundiertes Verständnis von Bhutans heutigem buddhistischem Konstitutionalismus und einzigartigem nachhaltigem Entwicklungsmodell – Gross National Happiness (GNH). 

Ich sehe die Tibetologie in Bezug auf Gesellschaft, Biodiversität und Klimawandel in einer wichtigen Rolle.

Des Weiteren bin ich gerade dabei, ein interdisziplinäres Forschungsprojekt zu konzipieren, in dem ich mich mit buddhistischen und nicht-westlichen Epistemen der Umwelt und der Klimakrise unter Berücksichtigung von dekolonialen Ansätzen beschäftige. Das Ziel dieser Forschung ist ein umfassenderes Verständnis von Resilienzsystemen in Bezug auf Gesellschaft, Biodiversität und Klimawandel zu gewinnen und dieses in einen akademischen und öffentlichen Diskurs zu setzen. Ich sehe dabei die Tibetologie mit ihrem fundierten historischen Verständnis von gegenwärtigen Entwicklungen am und um den „Third Pole“ der Erde in einer wichtigen Rolle. 

Mit meinem Projekt ziele ich auf eine stärkere Sichtbarkeit der Geisteswissenschaften und eine mittelfristige bessere Verzahnung von Geistes-, Sozial-, Natur- und Lebenswissenschaften bei Forschungen zur Umwelt und Klimakrise ab. Daher drücke ich auch sehr fest die Daumen für das Exzellenzcluster „Breathing Nature“ an der Universität Leipzig.

Würden Sie bitte kurz einige Schwerpunkte nennen, die Sie in der Lehre setzen wollen?

Sehr gerne, ich freue mich, an der Universität Leipzig nun in zwei neu entwickelten Studiengängen zu unterrichten, dem B.A. „Kulturen Südasiens und Tibets“ und dem englischsprachigen M.A. „Buddhist Studies and Contemplative Traditions“.

In meiner Lehre steht erst einmal die Vermittlung von fundierten sprachlichen und historisch-philologischen Kompetenzen in der klassischen tibetischen Sprache an Studierende im Zentrum, um dann tibetologische Forschungsthemen anhand von Primärquellen umfassend bearbeiten zu können. Historische und regionalwissenschaftliche Themen aus dem tibetischen Kulturraum (Tibet/Mongolei/Himalaja/Bhutan) und der bhutanische Buddhismus stehen dabei im Vordergrund. 

Des Weiteren sind mir aber auch gegenwartsbezogene (oft interdisziplinäre) Themen des Buddhismus im globalen Kontext (z. B. der engagierte Buddhismus in der Klimakrise) und die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte des eigenen Faches während der Zeit des Nationalsozialismus und der deutschen Kolonialzeit ein wichtiges Anliegen. 

Auch habe ich an der University of British Columbia kollaboratives und forschungsnahes Lernen in innovativen Lehrräumen gefördert und möchte dies auch hier umsetzen, zum Beispiel in Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Gruppen, Museen und Archiven.  

Bitte beenden Sie folgenden Satz: „Die Universität Leipzig ist für mich…“

...ein Ort von wertvollen wissenschaftlichen und menschlichen Verbindungen, der mich, fachlich und persönlich durch die interdisziplinären und internationalen Diskurse maßgeblich in meinem Selbstverständnis als Wissenschaftlerin geprägt hat. Daher ist es ein Ort, mit dem ich nun zu Beginn dieser Professur beruflich und persönlich schon sehr viel Positives verbinde! 

Welche Entdeckung, Erfindung oder Erkenntnis wünschen Sie sich in den nächsten zehn Jahren?

Ich wünsche mir (eigentlich jetzt sofort) ein radikales Umdenken und ein global vernetztes und gemeinsames Handeln im Angesicht der Klimakrise. Ich hoffe immer noch, dass Forschung zu intersektionalen und dekolonialen Lösungsansätzen für die Klimakrise und der Wissenstransfer darüber in die Öffentlichkeit zu diesem Umdenken mittelfristig wenigstens ein wenig beitragen können, gerade auch in Bezug auf die zunehmende Verleugnung des Klimawandels. 

Welche Hobbys haben Sie?

Musik in allen Formen und Arten, deshalb bin ich sehr froh, in Leipzig, einer großartigen Musikstadt, zu sein. Ich spiele schon sehr lange Geige, aber leider aus Zeitgründen zurzeit nicht aktiv in einer Band. Außerdem praktiziere ich Qigong, ein wichtiger körperlicher und mentaler Ausgleich zu den langen Arbeitsstunden als Professorin. Am liebsten bin ich aber in der Natur, im Wald, in den Bergen (natürlich dem Himalaja!) und aus Norddeutschland stammend bin ich dem Meer sehr verbunden. 

Haben Sie ein bestimmtes Lebensmotto, das Ihnen auch über schwierige Phasen hilft?

In schwierigen Phasen hilft es mir „Schritt für Schritt“ zu denken und zu versuchen, Geduld und Mitgefühl (auch für mich selbst) zu entwickeln. Und Gespräche natürlich – der Austausch mit nahestehenden Personen in solchen Phasen ist ebenfalls sehr wichtig. 

Verraten Sie uns bitte noch, wann und wo Sie geboren sind?

1978, in Buchholz i. d. Nordheide.

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